Arbeitnehmer in Untersuchungshaft

Man neigt dazu, diese Möglichkeit zu verdrängen, aber leider kommt es öfter vor, als es einer Firma lieb ist: Ein Mitarbeiter verstrickt sich in illegale Aktionen, landet in Untersuchungshaft und kann seiner Arbeit nicht mehr nachkommen. Welche Möglichkeiten hat der Arbeitgeber – insbesondere, wenn er den Grund für die Verhaftung nicht kennt? Und wie lange schuldet er den Lohn?

 

Bilder: felicebruno.ch 

Arbeitnehmer in Untersuchungshaft

 

Damit eine fristlose Kündigung gerechtfertigt ist, muss nach Art. 337 OR ein wichtiger Grund vorliegen. Dies ist der Fall, wenn dem Kündigenden nach Treu und Glauben nicht mehr zugemutet werden darf, das Arbeitsverhältnis bis zum ordentlichen Kündigungstermin oder zum Ablauf des befristeten Vertrags fortzusetzen. Die fristlose Kündigung hat somit einen Ausnahmecharakter.

Eine Firmenkundin fragt nach, ob ein solcher Ausnahmecharakter im Fall eines Mitarbeiters gegeben ist, der sich in Untersuchungshaft befindet. Ob man ihm fristlos kündigen darf und falls ja, wohin diese Kündigung zu schicken sei, wenn der Ort der Untersuchungshaft unbekannt ist. Wir klären die Kundin auf:

Die Anordnung von Untersuchungshaft wird vom Bundesgericht nicht per se als wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung betrachtet. Es stellt sich viel mehr die Frage, ob die Untersuchungshaft selbstverschuldet ist, etwa durch das Begehen eines Delikts.

Sollte sich die Untersuchungshaft im Nachhinein als unverschuldet erweisen (etwa durch einen Freispruch), läge kein wichtiger Grund nach Art. 337 OR vor. Diese Norm verbietet es ausdrücklich, die «unverschuldete Verhinderung des Arbeitnehmers an der Arbeitsleistung» als wichtigen Grund anzuerkennen. Eine bereits ausgesprochene fristlose Kündigung könnte sich nachträglich als ungerechtfertigt erweisen und eine Entschädigungspflicht auslösen.

Da unsere Firmenkundin den Grund der Untersuchungshaft nicht kennt, wäre eine fristlose Kündigung also mit grossen Risiken verbunden. Deshalb raten wir davon ab und bereiten stattdessen sowohl eine Aufhebungsvereinbarung als auch eine ordentliche Kündigung vor. Falls die Kundin herausfindet, in welchem Untersuchungsgefängnis sich der Mitarbeiter befindet, kann eine einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses angestrebt werden. Ansonsten kann unsere Kundin die ordentliche Kündigung per Einschreiben an die Wohnadresse des Mitarbeitenden schicken.

 

Besteht Anrecht auf Lohn?

Während der Untersuchungshaft kann der Mitarbeitende seine Arbeitspflicht nicht wahrnehmen. Muss unsere Kundin die Gegenleistung für Arbeit, also den Lohn, bis zum Gerichtstermin bezahlen?

Auch hier stellt sich die Frage nach der Selbstverschuldung. Eine gesetzliche Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers nach Art. 324a OR besteht nur bei unverschuldeter Verhinderung des Arbeitnehmers.

Da unserer Kundin gegenüber der Grund der Festnahme ihres Mitarbeiters nicht kommuniziert wurde, kann grundsätzlich von einer selbstverschuldeten Arbeitsverhinderung ausgegangen werden. Deshalb rieten wir ihr, den Lohn ab Beginn der Untersuchungshaft zu sistieren.

Falls sich später herausstellen sollte, dass die Untersuchungshaft unverschuldet war, ist der Lohn nach Art. 324a OR rückwirkend zu erstatten – unter der Voraussetzung, dass den Arbeitnehmer auch sonst kein Verschulden trifft. Die Untersuchungshaft kann nämlich trotz eines Freispruchs verschuldet sein. Dann etwa, wenn der Arbeitnehmer deren Anordnung oder Verlängerung durch sein provozierendes Verhalten oder seine widersprüchlichen Aussagen herbeigeführt hat.

 

Fazit:

Es empfiehlt sich, immer zu prüfen, ob eine fristlose Kündigung tatsächlich möglich ist oder sie lediglich doch (mehr) Risiken birgt. Im Zweifelsfall kann eine Aufhebungsvereinbarung mit der/dem betroffenen Mitarbeitenden angestrebt oder die ordentliche Kündigung ausgesprochen werden.

Autorin/Autor

Admira Brao
Admira Brao, MLaw, Juristin, arbeitet als Stv. Teamleiterin im Rechtsdienst der Coop Rechtsschutz. Sie hat sich auf das Arbeitsrecht spezialisiert.
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