Schweigen ist Gold

Wer bei einem Unfall mit der Polizei spricht, bringt sich in unnötige Notlagen, sagt der renommierte Verkehrsrechtsanwalt Manfred Dähler. Sein Rat: schweigen und Hilfe holen!

 

Bilder: lukaslienhard.com

Schweigen ist Gold
Schweigen ist Gold

Wir treffen Rechtsanwalt Manfred Dähler in seinem Büro in St. Gallen. Der Rechtsanwalt und Notar ist Partner bei SwissLegal asg.advocati und ausgewiesener Spezialist für Fälle aus dem Strassenverkehrsrecht. Das Interview führt Matthias Mächler.  

 

Vor allem in amerikanischen Krimis werden Verdächtige bei der Verhaftung darauf hingewiesen, dass sie das Recht haben, zu schweigen. Gilt das auch bei uns?

Die sogenannte Miranda-Klausel steht seit 2011 in der Schweizer Strafprozessordnung. Sie gilt ab dem ersten Gespräch mit der Polizei. 

Und Sie finden: Immer und unbedingt schweigen?

Ja, immer! Vor allem der zweite Satz der Klausel ist wichtig: «Alles, was Sie sagen, kann gegen Sie verwendet werden!» Da sollten bei Ihnen die Alarmglocken schrillen. Denn nur eine Aussage, mit der Sie sich selbst belasten, ist für die Behörden befriedigend: Bei einem Geständnis müssen die nicht noch lange nach anderen Gründen forschen. Dabei gibt es vielleicht ein physikalisches Ereignis, weshalb Sie das andere Auto oder ein Schild nicht gesehen haben. Also schweigen Sie lieber und besprechen sich zuerst mit Ihrem Anwalt.

Schon klar, dass Sie das sagen. Als Anwalt, der von solchen Fällen lebt …

Das sage ich als Anwalt, der seit 35 Jahren viel zu oft erlebt, wie sich Laien unnötig in verheerende Situationen manövrieren, weil sie die Konsequenzen von Aussagen im Strafverfahren und die Kollateralschäden nicht abschätzen können.

Zum Beispiel?

Ein alltäglicher Fall: Man hat einen Unfall, ein Polizist rapportiert. Er ist freundlich, hat aber bereits ein Verdachtsmuster und sagt: «Dumm gelaufen, war bestimmt ein Sekundenschlaf.» Sie hatten am Handy rumgedrückt und denken: Handy ist pfui, Sekundenschlaf klingt sympathischer. Was Sie nicht wissen: Sekundenschlaf ist viel schlimmer. Die höchste Stufe an Fahrunfähigkeit. Entsprechend weit wandert Ihre Akte durch die Ämter. Auch Ihre Versicherung bekommt sie. Je nachdem, was Sie gesagt haben, will sie Ihren Schaden dann nicht bezahlen. Sekundenschlaf hat den Stellenwert von hoher Alkoholisierung und löst einen Zwangsregress der Haftpflichtversicherung auf Sie aus. Da steht schnell einmal Ihre langfristige finanzielle Existenz auf dem Spiel.

Reden können Sie später noch. Aber Schweigen können Sie nur einmal.

Bei Sekundenschlaf sagt man besser, man habe aufs Handy geschaut?

Ich möchte niemanden zu einer Falschaussage anstiften, im Gegenteil: Davor warne ich. Darum: Schweigen Sie! Reden können Sie später noch. Schweigen können Sie nur einmal. Wenn Sie das Schweigen brechen, ist fertig. Sobald man zu reden anfängt, kann man nicht mehr aufhören, das ist ein Phänomen. Ein anderes ist, dass man oft vermeintlich beschönigt – und aus purer Naivität ins offene Messer läuft. Man merkt erst später, dass gerade diese Beschönigung fatal war.

Woran denken Sie?

Sie sagen: «An der Ampel bin ich ganz vorsichtig und langsam angefahren.» Der Unfallexperte errechnet dann, dass bei korrektem, normalem Anfahren der Unfall an der Kreuzung nicht passiert wäre. Oder der Klassiker: Ich fahre betrunken Auto, was immer schlimm ist. Ich werde ertappt, zum Polizeiarzt gebracht und gefragt, wann ich was getrunken habe. Wenn ich jetzt antworte, kann ich nur verlieren. Denn der Arzt wird den Alkoholgehalt im Blut ohne Rücksicht auf die angegebene Trinkmenge objektiv messen. Mache ich eine beschönigende Angabe über das Trinkende wie «nur ganz am Anfang des Abends, danach nur noch Wasser», ist für den Experten klar, dass er noch den Alkoholabbau hinzurechnen muss.

Ich ahne es schon: Das kommt nicht gut …

Genau: Der Alkoholwert wird dadurch höher, als im Labor gemessen, und nicht tiefer. Was seit dem Trinkende abgebaut worden sein kann, wird zum Laborwert hinzugezählt. Ohne Zeitangabe gäbe es diesen Zuschlag nicht. Es kann passieren, dass der Arzt auf absurd hohe Werte kommt, die für mich krasse Auswirkungen haben – nur weil ich beschönigt und das Trinkende falsch angegeben habe. Besser als ohne Zeitangabe kann der Wert nicht werden! 

Wenn ich eine reine Weste habe, nüchtern bin und die Wahrheit sage, kann mir doch nichts passieren?

Wahrheit an sich gibt es praktisch nicht. Es gibt nur verschiedene Wahrnehmungen oder Teilwahrheiten. Ihre vermeintliche Wahrheit kann Ihnen gefährlich werden. Etwa wenn ein Detail widerlegt wird – dann glaubt man Ihnen auch die für Sie positiven Aspekte der Aussage nicht mehr.

Wenn ich mit den Behörden kooperiere, darf ich doch sicher mit einem Bonus rechnen?

Nein, hören Sie auf! Es geht bei Strafen im Strassenverkehr nach Tarif und sonst um gar nichts. Schon gar nicht um Sympathierabatte.  

Ich habe es pressant, habe Termine. Wenn ich schweige, mache ich mich verdächtig, dann muss ich vielleicht mit aufs Revier, einen Bluttest machen, verliere Zeit. 

Da müssen Sie durch. Aber auch dann: Geben Sie den «Drohungen» nicht nach. Es kann sein, dass Sie hundert Fragen gestellt bekommen. Ihre Antwort sollte immer dieselbe sein: «Ich mache vom Schweigerecht Gebrauch.» Und begründen Sie keinesfalls, warum Sie schweigen!

Woher stammt dieses Auskunftsverweigerungsrecht?

Das gibt es seit der französischen Revolution. Das Recht, dass man sich nicht selbst belasten muss, gehört zu den Menschenrechten. Ausser beim Bluttest, den müssen Sie machen. Wenn Sie den verweigern, können Sie härter bestraft werden als für das Delikt selbst.

Empfinden Sie das Aussageverweigerungsrecht in jedem Fall als gerecht? Kann es einem Täter nicht auch als Schlupfloch dienen?

Das kann es. Aber das ist in jedem System ein Risiko, auch im Rechtsstaat. Und man findet zu jeder Regel einen Fall mit einem unschönen Resultat. Doch am Grundprinzip gibt es nichts auszusetzen. Schweigen ist total richtig. Inklusive Schweigerecht der Familienangehörigen, damit im engsten Familienumfeld ein Denunziantentum verhindert werden kann. Zum Zeugnisverweigerungsrecht gehört das Editionsverweigerungsrecht.

Ich muss also keine Dokumente herausrücken, wenn ich nicht will?

Doch, müssen Sie. Aber Sie haben das Recht, eine Siegelung zu verlangen. Dann muss ein Zwangsmassnahmenrichter entscheiden, ob ein genügend triftiger Grund für die Sichtung besteht und ob in vollem Umfang in Ihr Smartphone geschaut werden darf. Wenn nicht, können sogenannte Beifänge verhindert werden, also das Entdecken weiterer Dinge, nach denen ursprünglich nicht gesucht wurde, weil dafür gar kein Verdacht bestand. 

Wenn Sie Pech haben, sitzen ganze Schulklassen im Saal. Oder Ihre Nachbarn. Das ist in der Regel nicht, was man sucht.

Ein Polizist, der neben dem gesuchten Material verfängliche Dokumente findet, muss sie einfach wieder vergessen?

Nein. Wenn man sich aber wehrt, werden Handys und Computer von einer besonderen Stelle geprüft, die ausschliesslich nach gesuchten Dokumenten fahnden darf. Wenn solche Stellen andere Dinge entdecken, müssen sie schweigen. Bei Tatverdacht auf Pädophilie dürfen die Behörden selbstverständlich sämtliche Videos und Fotos sichten. Aber nur, weil der Verdächtige ein Bankangestellter ist, muss nicht auch noch jede Kundendatei durchforscht werden. 

Und ein Pfarrer? Wenn er in der Beichte etwas Schlimmes erfährt und annehmen muss, dass er einen Wiederholungstäter vor sich hat, wäre er da nicht verpflichtet, dies zu melden?

Nein, er darf schweigen, da schützt ihn das Gesetz. Die andere Frage ist, was die Kirche dazu sagt, also ob er von dieser Seite her schweigen muss. Aber das hat nichts mit strafrechtlichen Normen zu tun. Im Strafrecht gibt es ein Schweigerecht, aber keine Schweigepflicht.

Wie ist das bei Tätern, die schweigen? Setzt ihnen das schlechte Gewissen nicht irgendwann zu? Wie erleben Sie es als Anwalt bei Ihren Klienten?

Ich sage ja nicht, man soll für immer schweigen. Ich sage nur, man soll auf jeden Fall am Anfang schweigen. Und Hilfe holen. Damit man sich bewusst wird, was man in diesem Verfahren überhaupt aussagen soll und welche Themen tabu sind. Das Ziel ist nicht zwangsläufig ein Freispruch, sondern das Vermeiden von Kollateralschäden, die alles nur noch schlimmer machen.

Bis zuletzt zu schweigen, wäre gar nicht gut?

Nein, dann könnte die Angelegenheit nicht mehr in einem einfachen Verfahren erledigt werden. Dann muss der Staatsanwalt den Fall ans Gericht überweisen. Es kommt zu einer kostspieligen öffentlichen Gerichtsverhandlung. Wenn Sie Pech haben, sitzen ganze Schulklassen im Saal. Oder Ihre Nachbarn. Das ist in der Regel nicht, was man sucht.

 

 

Manfred Dähler praktiziert als Rechtsanwalt & Notar und ist auf die Bereiche Haftpflicht, Strassenverkehr und Versicherung spezialisiert. Er gilt schweizweit als Koryphäe im Strassenverkehrsrecht. www.swisslegal.ch

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